Technologieverband befragt Insider zu Deutschlands Position im IoT Innovationswettlauf | Insider mahnen schnelles Tempo und „kalifornischen Geist“ an
Die „Digitale Transformation“ markiert einen disruptiven Technologiesprung und radikalen
Strukturwandel der Volkswirtschaften: Bestehende Wertschöpfungsketten werden gesprengt,
traditionell erfolgreiche Geschäftsmodelle und Marktpositionen stehen auf dem Prüfstand,
neue Denkweisen und Geschäftsmodelle erobern die Zukunftsmärkte. Der Nutzen der
digitalen Vernetzung zeigt sich auf vielen Feldern – von Industrie 4.0 über Energie und
Mobilität bis zu Gesundheit und Wohnen. Themen, die der VDE-Kongress 2016 „Internet der
Dinge“ am 7. und 8. November 2016 in Mannheim ins Visier nimmt. Doch was treibt das
„Internet of Things“ (IoT) eigentlich an? Und was muss der Standort Deutschland und Europa
tun, um davon zu profitieren? Dazu hat der VDE hochkarätige Referenten seines
Digitalisierungsgipfels befragt.
Das Ergebnis in Kürze: Konnektivitäts- und Kommunikationstechnologien sowie Embedded
Systems und Cyber-Physical-Systems sind die wichtigsten Basistechnologien und
Innovationstreiber für das IoT. Das mit Abstand wichtigste Anwendungsfeld heißt Industrie
4.0. Und die größten Innovationshemmnisse liegen bei Problemen der IT-Sicherheit sowie
beim Festhalten an etablierten Technologien und Geschäftsmodellen. Zur Stärkung der
deutschen IoT-Position fordern die Experten die schnelle und flächendeckende Einführung
der 5G-Infrastruktur, „IT-Security first“ und eine Charme-Offensive für die Elektro- und ITAusbildung.
Darüber hinaus gilt es, Start-ups und Kooperationen zu fördern und dabei
verstärkt auf unkonventionelle und innovative Lösungen zu setzen. Auch für Europa brechen
die Experten eine Lanze: Ein homogener europäischer Markt ist im Wettbewerb mit den
ökonomischen Schwergewichten aus Amerika und Asien unverzichtbar für internationale
Markterfolge.
„Internet der Dinge“ wird zur Feuerprobe für Deutschland 4.0
Die stärkste Triebfeder für das IoT sehen die Experten in Industrie 4.0. Auf diesem
Anwendungsfeld wird es im Jahr 2025 die bedeutendste Rolle spielen. Aber auch Smart
Mobility und Health & Livestyle sowie Smart Energy und Smart Living haben großen Anteil
am Siegeszug der digitalen Vernetzung. Die technische Basis für das Internet der Dinge
schaffen in erster Linie Konnektivitäts- und Kommunikationstechnologien – mit anderen
Worten: vor allem der Kommunikationsstandard 5G. Es folgen Security and Safety, Big Data
sowie Sensor, Aktuator- und Regelungstechnologien. Als wichtigste technische
Innovationstreiber gelten Embedded Systems und Cyber-Physical-Systems. Ihnen wird eine
noch größere Triebkraft zugetraut als Sensorik und Aktorik, Informations- und
Kommunikationstechnik, Mikroelektronik / Mikrosystemtechnik, Cloud-Dienste und
Semantische Technologien. Die höchsten Barrieren für die digitale Vernetzung bilden die ITSicherheit
und das Festhalten an etablierten Technologien und Geschäftsmodellen. Aber
auch zu viel Bürokratie, unzureichende IKT-Infrastruktur (IKT = Informations- und
Kommunikationstechnik) sowie fehlende Normen und Standards werden bemängelt.
Finanzierungsprobleme und der mangelnde Reifegrad bzw. technische Hürden stellen
ebenfalls ernstzunehmende Hemmnisse dar. Fragen der Regulierung und Frequenzen und
fehlende Anreize gelten dagegen als weniger problematisch.
„Conditio-sine-qua-non-Formel“: 5G-Infrastruktur und IT-Sicherheit
Eine unverzichtbare Voraussetzung für den digitalen Wandel ist der forcierte Ausbau der
IKT-Infrastruktur für ein „taktiles Internet“. Der schnelle und flächendeckende Ausbau des
Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetzes mit Glasfaser und 5G-Mobilfunk hat das Potenzial, in
Deutschland ein neues Zeitalter einzuläuten und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in allen
Anwendungsfeldern der Wirtschaft entscheidend zu stärken. Ziel muss es sein, mit
hochflexiblen software-getriebenen Plattformen schnell und effizient Lösungen
bereitzustellen, die auf personalisierte und auf industriespezifische Anforderungen
zugeschnitten sind, um so das gesamte unternehmerische Potenzial von Industrie 4.0 und
anderen Anwendungen auszuschöpfen. Zugleich gilt es, höchste Priorität auf Maßnahmen
zur Sicherstellung funktionaler Informationssicherheit (z.B. Sicherstellung
personenbezogener Daten für E-Health) zu legen. Bei der Erstellung von ITSicherheitskonzepten
sollten nach Meinung der VDE-Experten technische, organisatorische
und qualifikatorische Aspekte beachtet werden.
Ökosysteme für Start-ups und Kooperationen schaffen
Nach Meinung der befragten IoT-Insider ist neben erheblichen technologischen
Anstrengungen aber auch ein Mentalitätswandel und ein verbessertes Umfeld für
unternehmerischen Wagemut erforderlich, um Deutschland mit einem gelungenen Sprung
ins digitale Zeitalter und in die Champions League der digitalen Vernetzung zu katapultieren.
So müssen laut den Experten die Rahmenbedingungen für die Start-up-Szene verbessert
und entsprechende Ökosysteme aus KMUs (kleine und mittlere Unternehmen), Start-ups
und Großkonzernen gefördert werden. Insbesondere gilt es, die Zusammenarbeit von IKTStart-
ups mit der klassischen Industrie deutlich stärker zu forcieren und koordinierte
Förderprogramme aufzulegen, um Unternehmensgründungen zu stimulieren. Neue
industrieübergreifende Ökosysteme können dabei maßgeblich zur Umsetzung der digitalen
Agenda für Gesellschaft und Wirtschaft beitragen.
Mehr „Californian Spirit” statt “German Angst” bei digitalem Wandel
Allerdings kommt es nicht nur darauf an, dass gefördert wird, sondern auch was gefördert
wird. Deutschland sollte die Herausforderung des disruptiven Bruchs mit dem Status quo
ernster nehmen und stärker auf unkonventionelle und innovative Lösungen setzen. Dazu
sollten nicht nur technologische Erfolge in den Fokus genommen, sondern auch völlig neue
Geschäftsmodelle und Möglichkeiten ausgelotet werden. Gefordert wird mehr „kalifornischer“
Geist und Mut zu unkonventionellen Lösungen, um aus der digitalen Goldgräberstimmung
Nutzen zu ziehen. Dabei sollte auch die Herausforderung Big Data im Auge behalten werden
– sowohl mit Blick auf die Speicherung, Standardisierung und Datensicherheit als auch
hinsichtlich neuer Geschäftsmodelle.
Homogener EU-Markt und digitale Bildungsexzellenz unverzichtbar
Für die VDE-Experten steht fest: Deutsche Unternehmen werden im Internet der Dinge nur
Erfolg haben, wenn es einen hinreichend homogenen europäischen Markt gibt, um im
Vergleich mit den großen Märkten wie USA und China Skaleneffekte realisieren zu können.
Das betrifft insbesondere Gesetze und Regelungen zum digitalen Geschäft wie zum Beispiel
den Umgang mit Daten, Steuern und Haftungsfragen. Aber Menschen machen nicht nur
Märkte, sondern auch Technik. Und auch hier droht die Personaldecke immer dünner zu
werden. Denn um die digitale Transformation zu einem Erfolg zu machen, werden immer
mehr Software-Entwickler und Ingenieure der Elektro- und Informationstechnik benötigt.
Nach einer aktuellen VDE-Arbeitsmarktanalyse werden allein für die IoT-Einführungsphase
2016 - 2026 in Deutschland rund 100.000 E-Ingenieure mehr benötigt, als hierzulande
ausgebildet werden. Daher gilt es, MINT-Ausbildungs- und Berufsbilder in Schule,
Ausbildung und Universität attraktiver zu machen und den Elektro- und IT-Nachwuchs
intensiv zu fördern.
Wer nicht kommt zur rechten Zeit…
Das Fazit der VDE-Expertenbefragung: Technologisch liegt Deutschland im internationalen
IoT-Innovationswettlauf gut im Rennen. Und wenn die 5G-Infrastruktur schnell und
flächendeckend eingeführt wird, hat das deutsch-europäische Team Chancen auf die
Innovationsführerschaft bei Industrie 4.0, Automatisierten Fahren & Co. Aber wie bei vielen
Talenten, Hoffnungsträgern und Titelaspiranten gilt auch hier: Dein stärkster Gegner bist du
selbst. Nur wenn Deutschland den Sprung ins digital vernetzte Zeitalter wagt, wird es davon
profitieren. Viel Zeit bleibt nicht: Bis 2025 wird die anstehende Phase der digitalen
Transformation abgeschlossen sein. Der Countdown läuft.
Für die Redaktion: Die VDE-Studie „Digitalisierung 2020“ wurde im Rahmen des VDE-Kongresses
2016 „Internet der Dinge“ erstellt. Sie ist kostenfrei im Shop auf www.vde.com erhältlich.
Über den VDE:
Der VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik ist mit 36.000 Mitgliedern (davon 1.300 Unternehmen) und 1.200 Mitarbeitern einer der großen technisch-wissenschaftlichen Verbände Europas. Der VDE vereint Wissenschaft, Normung und Produktprüfung unter einem Dach. Die Themenschwerpunkte des Verbandes reichen von der Energiewende über Industrie 4.0, Smart Traffic und Smart Living bis hin zur IT-Sicherheit. Der VDE setzt sich insbesondere für die Forschungs- und Nachwuchsförderung sowie den Verbraucherschutz ein. Das VDE-Zeichen, das 67 Prozent der Bundesbürger kennen, gilt als Synonym für höchste Sicherheitsstandards. Hauptsitz des VDE ist Frankfurt am Main.
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Kategorie: Branchennews